Eine Einladung zum Tanz – Die optimale Customer Experience im Kundenservice

Autorin: Gudrun Scharler


 

Jeder spricht davon, alle arbeiten daran und einige behaupten, sie hätten sie schon längst gefunden: die perfekte Customer Experience. Was das im Detail bedeutet, bleibt allerdings häufig im Dunkeln. Im Prinzip ist das Thema ja nicht neu, ganz im Gegenteil: Kundenservice- Organisationen bemühen sich seit langem darum, ihren Kundinnen und Kunden die perfekte Kundenerfahrung zu bieten und die emotionale Bindung zwischen Anwender, Produkt und Anbieter zu stärken. Und obwohl sich die Rahmenbedingungen durch fortschreitende Digitalisierung, immer bessere Datenmodelle und den Einsatz künstlicher Intelligenz grundlegend verändert haben, bleiben viele der alten Herausforderungen bestehen. Ein Auto herzustellen, das einen bei jedem Einsteigen glücklich lächeln lässt, ist mit Sicherheit nicht einfach, aber ganz offensichtlich machbar. Und dass Smartphones in der Lage sind, ganze Heerscharen von Fangirls und Fanboys auf die Barrikaden zu treiben, zeigen die jährlichen Produktupdates aus dem Apple- oder Android-Lager.

Aber mal ganz ehrlich: Wie viel emotionale Bindung haben Sie zu ihrem Stromanbieter? Oder anders gefragt: Wollen Sie das überhaupt? Wollen Sie sich zum Beispiel Ihrem Mobilfunkanbieter wirklich emotional verbunden fühlen? Reicht es nicht aus, dass die Dinge einfach funktionieren und Sie nicht daran denken müssen. Das ist der schwierige Teil des Customer Experience Managements. Was tun mit Produkten und Services, die nach dem Kauf „verschwinden“ und einfach nicht mehr präsent sind? Hier kommt der Kundenservice ins Spiel. Denn egal ob Auto, Smartphone oder Strom: Irgendwann kommt der Punkt, an dem etwas nicht funktioniert und dann braucht es jemanden, der zur Stelle ist und hilft.

 
Bildschirmfoto 2021-02-11 um 17.50.19.png

Service-Entscheidungsträger meinen: Kundenservice muss sich verändern (Quelle: Salesforce)

 

Die Jagd nach der perfekten Customer Experience

Kundenservice-Organisationen können sich ein kleines Schmunzeln meist nicht verkneifen, wenn Sie mitkriegen, dass ihr Unternehmen ab sofort verstärkt „den Kunden in den Mittelpunkt“ stellen wird. Für sie ist genau das der Zweck ihres Daseins, nichts anderes machen Sie Tag für Tag. Oft eingeschränkt durch starre Prozesse, historisch gewachsene Strukturen und IT-Landschaften, aber immer darum kämpfend, das Beste für ihre Kundinnen und Kunden herauszuholen und bei Problemen zu helfen. Doch auch die besten Kundenservice-Teams werden nicht abstreiten können, dass da natürlich immer noch mehr möglich ist, und sie werden die Möglichkeiten dieser neuen Kundenzentrierung begrüßen und für ihre Zwecke anpassen.

Was bedeutet Customer Experience Management also für den Kundenservice? Während das „große“ CEM auf Clusterbildung abzielt und Kundinnen und Kunden in Personas zusammenfasst und versucht, gemeinsame Erfahrungen in Customer Journeys abzuleiten, geht es im Kundenservice meist um ganz individuelle Erfahrungen in einer ganz speziellen Situation: nämlich dann, wenn etwas nicht funktioniert. Nur weil zum Beispiel eine Kundin in Marketingfragen weitgehend der Persona der urbanen, gebildeten, erlebnishungrigen Mittzwanzigerin im Single-Haushalt entspricht, heißt das noch lange nicht, dass sie sich im Beschwerdefall genauso verhält. Und Personas – inklusive der Ableitungen von Aktionen – für den Servicefall gibt es kaum. Customer Journeys unterstützen bei der Entwicklung geeigneter Servicestrecken, im tatsächlichen Anlassfall helfen sie wenig.

Und auch eine andere Entwicklung stellt den Kundenservice vor neue Herausforderungen: Völlig zu Recht haben Unternehmen erkannt, dass sie überall dort ansprechbar sein müssen, wo ihre Kundinnen und Kunden kommunizieren. Sei es auf Facebook, Twitter, Instagram, im Chat oder im Messenger; alle halbwegs modernen Unternehmen im B2C Bereich (und verstärkt auch im B2B Bereich) sind dort vertreten. Fast monatlich kommen neue Touchpoints für den Kundenservice hinzu. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass mehr Touchpoints auch mehr Möglichkeiten bieten, den Kunden zu enttäuschen. Was also tun?

Kundenservice als Markenbotschafter

Nur sehr langsam rückt es ins Bewusstsein vieler Unternehmen, dass Kundenservice zuallererst Markenbotschafter ist. Natürlich hören das einige Marketingabteilungen, die sich tagtäglich mit Brand-Image und Markenwerten beschäftigen, nicht gerne. Aber denken wir noch einmal an das Beispiel aus der Einleitung zurück: Wann haben Sie das letzte Mal an Ihren Stromanbieter gedacht? Das tun wir nur, wenn etwas nicht passt, wenn wir darüber nachdenken, den Anbieter zu wechseln, wenn uns die Rechnung zu hoch erscheint oder wenn etwas mit der Versorgung nicht funktioniert. Plötzlich ist die Marke wieder präsent, wenn auch nur, weil sie im Briefkopf der Rechnung auftaucht. Ganz plötzlich werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kundenservice zu den wichtigsten Botschaftern der Marke. Allerdings meistens ohne die finanziellen Mittel und die technologischen Errungenschaften, die in den Aufbau und die Pflege der Marke investiert werden. Es ist also höchste Zeit, den Kundenservice mit genau diesen Mitteln auszustatten.

 
Bildschirmfoto 2021-02-11 um 17.49.49.png

Kundenservice ist ein elementarer Bestandteil der Customer Experience

 

Eine gute Datenlage

Unternehmen wissen immer mehr über Kundinnen und Kunden: Kauf- und Onlineverhalten, Brand-Awareness, demographische Gruppen, Interessen und Hobbies: Kundinnen und Kunden sind zwar vielleicht nicht gläsern, aber doch schon recht „durchsichtig“. Und was haben wir im Kundenservice zur Verfügung? Im besten Fall sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Telefon oder im Messenger vorhergehende Kontakte und eine kurze Zusammenfassung der Vereinbarungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden. Ein tatsächlicher 360° Blick fehlt. Was ein Kunde in anderen Kanälen gemacht hat, was er oder sie vielleicht auf Facebook oder Twitter gepostet hat bleibt meist ebenso im Dunkeln wie der Brief mit der besonders knackigen Beschwerde, der schon einige Tage bei der Rechtsabteilung zur Bearbeitung liegt. Und das betrifft nur die Interaktionen, die ein Kunde mit dem Unternehmen hatte. Interessen, geografische und demografische Daten, Bildungsstand – alles wichtige Kriterien zur Entwicklung von Personas – bleiben außen vor. Dabei gibt es schon länger interessante Lösungen, die Kundinnen und Kunden gezielt mit den Mitarbeitern verbinden, zu denen sie gut „passen“. Keine dieser Lösungen funktioniert heute einwandfrei, gleichzeitig scheint das Interesse der Industrie – und damit auch der Entwicklungsdruck auf Anbieter solcher Lösungen – nach wie vor klein. Hätten wir verstanden, dass im Kundenservice aktiv an der Marke gearbeitet wird, wäre das anders. Gleiches gilt für den angesprochenen 360° View. Da ist neben der Verknüpfung und Darstellung von Daten noch einiges an Hirnschmalz notwendig: Was soll dargestellt werden? Was ist relevant? Was nicht? Mit einem Bildschirm voll unnützer Daten ist am Ende auch niemandem geholfen. Auch hier stecken wir noch in den Kinderschuhen.

Die Zukunft ist digital. Oder?

Egal ob in einem Vortrag, im Vorstandsmeeting oder in einem Online-Artikel: Mit dem Satz „Die Zukunft ist digital.“ macht man in der Regel nichts falsch. Zustimmendes Kopfnicken ist die Reaktion. Ja, klar, die Zukunft ist digital. Aber doch nicht nur, oder? Was eine perfekte Customer Experience ist, entscheidet am Ende immer noch der Kunde. Also entscheidet auch der Kunde, welchen Kontaktkanal er wählt. Rein digital im Self-Service, ganz altmodisch mit dem Griff zum Telefon oder irgendetwas dazwischen mit Messenger und Co. Nur zur Erinnerung: Dank Personas und Customer Journey Design wissen wir meist recht genau, wer sich für welche Form des Vertragsabschlusses entscheidet – online oder nach ausführlicher, persönlicher Beratung. Im Beschwerdefall nutzen wir diese Informationen in der Regel nicht. Stattdessen stellen wir einfach alles bereit, schauen was passiert und

bearbeiten die eintrudelnden Themen so schnelle und gut es eben geht. Datenbasierte Entscheidungen sehen anders aus.

Blick nach vorne

Ausgerechnet der Kundenservice ist häufig ein Stiefkind des Customer Experience Managements. Also genau jener Bereich, dessen einziger Sinn und Zweck darin liegt, für den Kunden da zu sein. Dabei ähnelt der Kundenservice einem komplizierten Tanz, bei dem alles so viel einfacher ist, wenn wir damit beginnen, unser Wissen und unsere Daten intelligent zu verknüpfen. Sehr wahrscheinlich liegt die Zukunft im Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Die Tanzfläche ist durch den Einsatz von Daten abgesteckt und gut ausgeleuchtet. Einfache Tanzschritte übernimmt die Maschine, sei es der Roboter, der Standardfälle abarbeitet oder Self-Service-Lösungen, die Kundinnen und Kunden erlauben, ihre Accounts selbst zu verwalten und wichtige Einstellungen zu verändern. Die komplexen Hebefiguren übernimmt der Mensch. Und zwar überall dort, wo es neben dem Abarbeiten von Prozessen auch darum geht, emotionale Bedürfnisse zu befriedigen. Roboter sind nicht besonders gut im Entschuldigen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Fangen wir endlich damit an, Kundenservice flächendeckend als wichtigen Markenbotschafter zu verstehen und statten wir ihn mit den dafür notwendigen Mitteln aus. Wenn wir damit anfangen, die Erkenntnisse des CEM für den Kundenservice zu nutzen, Daten intelligent zu verknüpfen und sie im richtigen Moment zur Verfügung zu stellen, werden herausragende, positive Serviceerlebnisse tatsächlich möglich. Gleiches gilt natürlich auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst. Heute werden sie zu Kundenberaterinnen und Kundenberatern ausgebildet, in Zukunft hoffentlich zu Botschafterinnen und Botschaftern der Marke – mit mehr Befugnissen, den technologischen Rahmenbedingungen, umfassendem Know-How und den Fähigkeiten, die notwendig sind, um den Kontakt mit dem Kundenservice zu einem großartigen Erlebnis zu machen. Ob ein exzellenter Kundenservice wirklich dazu führt, dass die Loyalität zur Marke steigt, ist mit Sicherheit von Branche zu Branche unterschiedlich. Bei vielen Produkten und Services bleibt der Preis vorläufig noch das schlagende Argument. Doch auch wenn unklar ist, ob sich ein toller Kundenservice wirklich positiv auf die Kundenbindung auswirkt, steht trotzdem eines fest: Eine miserable Customer Experience im Servicefall bedeutet in vielen Fällen das Ende der Beziehung. Sehr häufig haben wir alle Werkezeuge, die es braucht, um das zu verhindern, bereits da. Wir müssen sie nur noch einsetzen. Auch und gerade im Kundenservice.

Zurück
Zurück

Künstliche Intelligenz: Der Motor und Booster für Digitale Kundenerlebnisse

Weiter
Weiter

Die Transformation zu einer CDXE-Kultur